Erich Satter Philosoph

Leseprobe

 "Lexikon freien Denkens ":

Gott, Gottesbeweise, Gottesvorstellungen

Der Aufklärungsphilosoph Immanuel Kant (1724-1804) stellt zurecht fest, dass die Existenz einer höheren Intelligenz zwar unbeweisbar bleibt, aber auch nicht bewiesen werden kann, dass es sie nicht gibt. Er ersetzt deshalb diese metaphysische Metapher mit dem Begriff "Ding an sich", was er als empirisch unerkennbar in einer transzendenten Welt ansiedelt. Damit reduziert sich G. in Kants Ethik quasi auf eine positive "Idee". Was jedoch unter G. zu verstehen ist und was im allgemeinen darunter verstanden wird, ist von Religion zu Religion und von Weltanschauung zu Weltanschauung verschieden.

Ambivalent und vielschichtig ist der Gottesbegriff - sowohl unter Theisten wie auch unter Atheisten - bis heute geblieben. Er reicht von G. als einem nur gedachten Phänomen über den aristotelischen "ersten Beweger" der sich nur selbst denkt, bis hin zu dem persönlich geglaubten G. der Buchreligionen. Um dieses weite Feld für einen undogmatischen und liberalen Denker einigermaßen übersichtlich zu gestalten, soll den sechs klassischen Gottesbeweisen, - dem ontologischen, dem kosmologischen, dem teleologischen, dem psychologischen sowie dem moralischen und dem voluntaristischen Gottesbeweis eine Theorie zur analytischen Existenzbeurteilung G. gegenübergestellt sein.

Der bekannteste und bedeutendste unter den sogenannten Gottesbeweisen ist der ontologische des Anselm von Canterbury (1033-1109). Für Anselm würde die Reduzierung G. auf eine Idee, der christlichen Vorstellung eines vollkommenen Wesens widersprechen, denn er schließt von der subjektiven Idee eines höchsten Wertes auch auf dessen objektives Dasein. Verkürzt formuliert nennt Anselm "etwas über das Größeres nicht gedacht werden kann" G. und glaubt beweisen zu können, dass das, über dem nichts Größeres gedacht werden kann, nicht nur im Verstande, sondern auch notwendig in der Wirklichkeit existieren müsse.

Älter ist jedoch der kosmologische Gottesbeweis. Hier wird von der Existenz der Welt auf einen Urheber geschlossen. Dieser Urheber ist G., welcher die nicht weiter zurückführbare Ursache - die causa sui - von allem sein soll.

Dem teleologischen liegen technomorphe Überlegungen zugrunde, wenn von der Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welt in kausalistischer Betrachtung, auf einen allwissenden G. als Weltenbaumeister verwiesen wird.

Der psychologische geht davon aus, dass die Idee G. im Bewusstsein des Menschen eine äußere Ursache voraussetzt. Diese Ursache soll G. sein.

Der moralische schließlich, verweist auf das Vorhandensein eines sittlichen Bewusstseins im Menschen, für dessen Urheber nur G. in Betracht kommen kann.

Der voluntaristische Gottesbeweis sieht den Menschen dann in drei Stufen: seiend, lebend, erkennend, aber nicht allmächtig, weil er nicht alles kann was er will. Aus dieser Tatsache wird geschlossen, dass es über ihm eine höhere Macht geben müsse.

Alle diese sogenannten Gottesbeweise halten jedoch einer analytischen Hinterfragung kaum stand und münden in einen logischen Zirkel. Dazu sind sie noch scholastisch geprägt, denn es wird vorausgesetzt, dass eine höhere Intelligenz notwendig G. sein müsse. Selbst Rene Descartes (1596-1650) bleibt noch in diesem Denkmuster gefangen, wenn er mit seinem cogito, ergo sum („ich denke, also bin ich") zwar richtig analysiert, aber fest davon überzeugt ist, dass eine höhere Macht nicht zum Bösen fähig sei, sondern in jedem Fall gut sein müsse, denn nur so ist seine Behauptung zu verstehen, dass diese "höhere Macht" kein Betrüger, sondern nur G. sein könne. (Gott auch als "gut" verstanden, abgeleitet von dem altdeutschen Wort "got") Sicher ist letztendlich nur - wie Kant bereits feststellte, - dass die Existenz einer höheren Macht genauso wenig bewiesen werden kann, wie deren Nichtexistenz. Wenn es sie aber geben sollte, muss sie nicht unbedingt mit den Prädikaten eines jüdisch-christlichen G. ausgestattet sein. Im moralischen Sinne wäre sie eher neutral als gut oder böse.

Ein Blick zu den Weltreligionen zeigt dazu noch, - allerdings sehr grob unterteilt, - dass hier mindestens drei völlig verschiedene religiöse Gottesvorstellungen ins Bewusstsein gerückt werden: 1. der G. der Buchreligionen Jahwe/Jehova/Allah. 2. der G. im indischen Brahmanismus sowie 3. der G. des chinesisch-japanischen Universismus.

Nun ist aus der Soziologie bekannt, dass das "was Menschen als real definieren, auch in seiner Konsequenz real ist" (Thomas-Theorem). So existiert G., zumindest bei einem vorwiegend konstruktivistischen Ansatz, sowohl für Theisten wie auch für Atheisten zumindest in Gedanken. Hier reduziert sich die Bezeichnung Atheist zu einem umgangssprachlichen Begriff des naiven Realismus. Alles was man denken kann, existiert in dem Moment in dem es gedacht wird zumindest in Gedanken. Das Nichts ist außerhalb von Raum und Zeit empirisch nicht nachweisbar und lässt sich auch so nicht denken. Also existiert es scheinbar auch nicht. G. jedoch kann man sich dagegen in den vielfältigsten Vorstellungen denken und ebenso vielfältig scheint er auch zu existieren.

Nur in diesem Lichte erhält u. a. der ontologische Gottesbeweis des Anselm kognitive Bedeutung. Dem Hinweis, dass "Das, über dem Größeres nicht gedachte werden kann", nicht nur im Verstande, sondern auch notwendig in der Wirklichkeit existieren müsse, ist mit dem Nachweis zu begegnen, dass die "Wirkung" eines solchen Gedankenkonstruktes durchaus eine "Wirklichkeit" hat und zwar nicht nur aktuell in dem "Gotteskriegertum" des fundamentalistischen Islam, sondern auch mehrdeutig und ambivalent im Christentum der Vergangenheit und der Gegenwart. So ließe sich mannigfach nachweisen, dass es Dinge geben kann, die ausschließlich in Gedanken existieren, aber substantiell gedacht werden, jedoch materiell mit Sicherheit nicht existieren und dennoch als körperlich operativ erfolgreich angewandt werden können.

Um aber dem gesamten kognitiven und kulturabhängigen Zugang zu den einzelnen Gruppen sehr unterschiedlicher Gottesvorstellungen einigermaßen gerecht zu werden, müssen abschließend noch einige weitere Betrachtungen einfließen. Eine emanzipatorische Gottesvorstellung entwickelten die englischen Deisten. Hier wird G. nur als Urgrund der Welt gedacht, der jedoch nicht in ihren Lauf eingreift.

Daneben entstand der Pantheismus als idealistisch geprägte Variante, die als physiomonistischer Pantheismus davon ausgeht, dass nur die Natur besteht, die man G. nennt, die Eigenexistenz G. wird hier aufgehoben. Der theomonistische Pantheismus hebt die Eigenexistenz der Welt auf, indem er davon ausgeht, dass nur G. existiert. Schließlich auch noch der immanent-transzendente Pantheismus, der eine Kombination beider Positionen darstellt und häufig als heimliche Religion der Deutschen bezeichnet wird, weil sich Goethe (1749-1832) dazu bekannt haben soll. Schließlich mündet der Pantheismus in den Pan-en-theismus, bei dem die göttlichen Anteile im Menschen, gegenüber den göttlichen Anteilen in der Natur als dominant gedacht werden.

Einen anderen, aber sehr interessanten Zugang zur Gottesvorstellung vertritt der Inder Swami Vivekananda (1863-1922), ein hinduistischer Religionsphilosoph, der eine evolutionäre Entwicklung des menschlichen Gottesbildes lehrte. Er unterteilt in: Gott über mir, Gott in mir und Ich bin Gott. Die unterste Stufe entspricht dem Theismus. Es ist die Vorstellung der "ungebildeten Masse", deren Glauben sich auf die Gottheiten draußen im Universum richtet. Die nächste Stufe enthält eine mystische Gotteserfahrung, über die es zur höchsten Stufe, der Identität mit G. kommt. Es ist eine typisch brahmanische Betrachtung, die aber auch an die Theorie eines "werdenden Gottes" des - zunächst aus dem Judentum, dann auch aus dem Christentum herausgewachsenen - Wertethikers Max Scheler (1874-1928) erinnert. Für Erich Fromm (1900-1980) reduziert sich dann schließlich G. auf einen poetischen Ausdruck des höchsten Wertes.

Mit dieser Vielschichtigkeit wird deutlich, dass sich ein undogmatischer Gottesbegriff nicht auf eine Entität der empirischen Welt beziehen kann, sondern eine Metapher bleibt, welche bestenfalls in einer transzendenten Welt nur individuell und allein emotional erlebbar sein kann, aber keinesfalls universalisierbar ist.

Aber genauso wie ein religiös gläubiger Mensch, der auf Gnade und Erlösung hofft, in der Wahrscheinlichkeit der Existenz eines G. Trost finden kann, mag für einen anderen gerade dessen wahrscheinliche Nichtexistenz einziger Trost sein. Angesichts des Leidens in der Welt, wäre es auch durchaus verständlich, wenn ein Ethiker es als hoffnungslos ansehen würde, dafür ein allmächtiges Wesen verantwortlich machen zu müssen. Er könnte sich zu einem aussichtlosen Kampf einem Monster gegenüber gezwungen sehen, bei dem ihm noch nicht einmal der Freitod Erlösung bringen könnte.

Eine theologische Verengung des in der kulturellen Evolution gewachsenen Gottesbegriffes auf die eher naive Sichtweise eines jüdisch-christlichen G. widerstreitet auf alle Fälle dem Anspruch eines wertbewussten Pluralismus.

ERICH SATTER

 

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