Erich Satter Philosoph

Leseprobe

"Lexikon freien Denkens":

Philosophie, die - der Philosoph, das Philosophieren [griech.: philo - Liebe, sophie - Weisheit]

Die korrekte Beschreibung des Begriffs Ph., wie er sich wissenschaftlich und kulturell entwickelt hat, erfordert auch die Einbeziehung eines Begriffsumfeldes. Dieser Bereich stellt sich in drei Perspektiven dar, welche nacheinander einer Klärung zugeführt werden sollen. Die blumige Auslegung "Liebe zur Weisheit", wie sie einer Überlieferung nach bereits schon in der sokratischen Schule gebraucht wurde, trifft heute die wissenschaftliche Bedeutung dieses Begriffes ebenso wenig, wie wenn eher trivial von der Ph. eines Wirtschaftsunternehmens, einer politischen Partei oder eines Fußballclubs gesprochen wird. Der Vorsokratiker Heraklit (544-483) benutzte das Wort philosophos, was für ihn "ein nach der Natur der Dinge Forschender" bedeutete. Aber zunächst zur Philosophie, als universitäre Wissenschaftsdisziplin.

Die tatsächliche Bedeutung des Terminus Ph., - weniger sprachwissenschaftlich gesehen, als dem Sinn nach gedeutet, - erschließt sich uns eher, wenn man von philo "Gebundenheit" und von sophie "Wissenschaft" ableitet. Aus dieser "Gebundenheit an die Wissenschaft" wurde dann bei der Entwicklung der Wissenschaft, welche die Teilung in verschiedene Disziplinen zur Folge hatte, eine Art "Wissenschaft von der Wissenschaft", welche sich aber im Laufe der Geschichte vorübergehend auf die sogenannten Geisteswissenschaften eingeschränkt sah.

Nach einer klassischen Einteilung zerfällt Ph. in drei Gruppen: Theoretische Ph., Praktische Ph. und Geschichte der Ph.

Schwerpunkt der Theoretischen Ph. ist eine systematische Reflexion über Formen und Strukturen menschlichen Erkennens. Sie ist somit vorwiegend eine Grundlagenwissenschaft, die fundamentale und begriffslogische Voraussetzungen des Denkens und Handeln nicht nur analysiert, sondern auch versucht gleichzeitig selbstkritisch zu hinterfragen. Dazu gehören die Teil-gebiete Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie Wissenschaftstheorie, Logik, Begriffsanalyse sowie Metaphysik und Ontologie.

Der zentrale Aufgabenbereich der Praktischen Ph. liegt in der Auseinandersetzung mit Daseins- und Wertfragen. Ihr Gegenstand ist hauptsächlich die Ethik, Ästhetik, Anthropologie, Kulturphilosophie, Rechtsphilosophie sowie Weltanschauungsanalyse bis hin zur Ideologiekritik.

Die Geschichte der Ph. schließlich, befasst sich mit der Entwicklung von Ideen und Gedankensysteme, welche innerhalb der Kulturen zu den Trägern von Wertorientierung im menschlichen Selbstverständlich wurden. Sie beginnt für uns mit den Vorsokratikern und ist quasi die Geschichte des menschlichen Denkens schlechthin. Hatte bei Aristoteles (384-321) Ph. noch den Anspruch das Ganze zu denken, also die gesamte lehrbare Wissenschaft zum Inhalt, erfolgte mit dem aufkommenden Empirismus eine Gliederung in Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft. Nach und nach sollten sich dann in der Wissenschaft immer mehr Teilgebiete verselbstständigen.

Mit einer neuen Strömung innerhalb der Ph., als Analytische Philosophie bezeichnet, kam es dann Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem Paradigmenwechsel, was zu einer neuen Einteilung führte, welche der klassischen Einteilung gegenübersteht, ohne diese jedoch abzulösen. Hier wird zwischen einer spekulativen und einer analytischen Ph. unterschieden. Unter der Spekulativen Philosophie (welche gelegentlich auch als "Kontinental-Philosophie" bezeichnet wird, weil die analytische Ph. ihren Ursprung im angelsächsischen Raum hat) wird eine Form des Philosophierens verstanden, welche mit Hypothesen und Theorien spekulativ eine Welterklärung versucht: Warum ist Etwas und nicht Nichts? Die Analytische Ph. jedoch, sieht hauptsächlich ihre Aufgaben darin, Theorien und Hypothesen mit Hilfe der Logik erkenntnistheoretisch zu hinterfragen. Aus der Sicht des Logischen Empirismus wird sie damit auf eine reine Wissenschaftstheorie reduziert. Außerhalb dieses positivistischen Denkansatzes bleibt jedoch diese Wissenschaftstheorie nicht nur auf die Naturwissenschaften beschränkt, sondern erfährt eine Erweiterung auf alle anderen Bereiche und umfasst damit auch die Geisteswissenschaften. Damit emanzipiert sie sich wieder zu einer Metawissenschaft, welche jedoch methodologisch ihren eigenen Gegenstandsbereich mit einschließt.

Die Stellung der Ph. gegenüber den übrigen Wissenschaftsdisziplinen, wird am deutlichsten durch ein Gleichnis von Immanuel Kant (1724-1804) transparent, welches heute noch seine Gültigkeit hat. Er unterscheidet in seiner ironischen Schrift "Der Streit der Fakultäten" in "obere" und "untere" Fakultäten. Zu den oberen Fakultäten zählen die theologische, die medizi-nische und die juristische, zur unteren allein die philosophische. Diese Einteilung entspricht - nach Kant - der Sicht der Regierenden und nicht der Perspektive des Gelehrten. Jedoch ist die untere die einzige, die nicht durch Statuten und Satzungen eingeengt ist und deshalb noch diskursiver Vernunft zugänglich. Die Theologie vermittelt das Sittengesetz nicht aus vernünftiger Einsicht, sondern leitet seine Lehren von der Bibel ab. Dazu Kant im Klartext: "Auch kann man allerdings der theologischen Fakultät den stolzen Anspruch, dass die philosophische ihre Magd sei, einräumen, (wobei noch immer die Frage bleibt, ob diese ihrer gnädigen Frau die Fackel vorträgt oder die Schleppe nachträgt), wenn man sie nicht verjagt oder den Mund verbindet...". Der Jurist bezieht sich nicht auf Naturrecht, sondern auf Gesetzestexte, denen er auch dann verpflichtet ist, wenn er sie nicht nur für unsinnig, sondern gar für falsch hält. Der Arzt schließlich richtet seine Heilmethoden mehr nach der Medizinalordnung, als nach der Physik des menschlichen Körpers.

Im Gegensatz dazu geht es bei der Philosophie um reine Erkenntnis. Was sie von den anderen Fakultäten unterscheidet, ist der Umstand, dass sie deren Ergebnisse in Anspruch nehmen und mit ihren Mitteln auf Widerspruchsfähigkeit prüfen kann, aber ihre eigenen Ergebnisse keiner Statutenmäßigen oder anderen Einschränkung unterliegen.

 

Als Philosoph, - um zur zweiten Perspektive überzuleiten -, wird jedoch nicht nur ein Gelehrter bezeichnet, der die so apostrophierte Disziplin professionell betreibt, sondern auch ein bestimmter Menschentyp, welcher in dem Streben nach Wahrheit und dem Suchen nach einem Sinn des Daseins erfüllt, zu selbstständigen Denken bereit ist, - frei nach Kant, - "der den Mut hat sich seines eigenen Verstandes zu bedienen" bzw. der Erkenntnis aus der Vernunft entwickeln kann. Eine solche Persönlichkeit strebt dabei nur nach Erkenntnis und Klarheit, nicht nach Heil. Hier unterscheidet sich der Ph. von einem religiösen Menschen, weniger von einem Künstler. Mit ihm bestehen viele Berührungspunkte. So wurden die Intellektuellen, welche im 18. Jahr-hundert vor dem Beginn der Französischen Revolution in den Pariser Cafehäusern diskutierten und unter denen sich zahlreiche Künstler befanden, vielfach auch mit dem französischen Wort "philosoph" belegt. Was jedoch den eigentlichen Ph. von einem Künstler unterscheidet besteht nur darin, dass er die Ergebnisse seiner Überlegungen nicht in Symbolen, sondern in Sprache darstellt. Mit dem religiösen Menschen verbindet beide, dass sie sich um Bildungswissen, nicht um Leistungs- und Herrschaftswissen bemühen.

 

Mit dem Begriff des Philosophierens soll die dritte Perspektive angesprochen sein. Für Kant kann jeder vernunftbegabte Mensch das Philosophieren lernen, so schreibt er in seiner "Kritik der reinen Vernunft": "Man kann also unter allen Vernunftwissenschaften nur allein Mathematik, niemals aber Philosophie (es sei denn historisch), sondern, was die Vernunft betrifft, höchstens nur philosophieren lernen". Er kommt zu dieser Behauptung, weil kein abgeschlossenes System einer philosophischen Wissenschaft erkennbar ist. Demnach kann man nicht Philosophie, sondern nur philosophieren lernen.

Kant unterscheidet deshalb den Weltbegriff der Ph. von einem Schulbegriff der Ph. Der Schulbegriff ist die systematische Einheit eines bestimmten aus dem Philosophieren hervorgegangen Wissens, in dem niemals nur die reinen Zwecke der Vernunft, sondern immer auch die Zwecke der jeweils Philosophierenden Geltung gewonnen haben. Der Weltbegriff untersteht allein den wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft. Da jedoch der Philosophierende stets in der Zeit lebt, sich niemals ganz den Zwecken der Vernunft überantworten kann, ist der Weltbegriff der Ph. letztendlich ein Ideal, hinter dem alle Ph. zurück bleiben muss.

Durch Denken und Weiterdenken zum Selbstdenken, aber kein Nachvollzug des bereits Gedachten, ist ein weiterer Aspekt von Philosophieren. Überlegungen, die auch in die sogenannte "Kinderphilosophie" einfließen. Eine neue Möglichkeit das Philosophieren zu lernen. Hier wird davon ausgegangen, dass im Bewusstsein jedes Menschen die Anlage zur philosophischen Orientierung im Dasein, das Tragende darstellt und bereits schon als Kind erfahrbar ist. Eine naturrechtliche Position geht gar davon aus, dass die Philosophie nicht von außen an den Menschen herangetragen werden kann, sondern sich schon immer in ihm befindet. Möglichst frühzeitig geweckt, soll sie vor ideologischer Beeinflussung bewahrt werden. Unter solchen Gesichtspunkten findet das Philosophieren mit Kindern immer größere Anerkennung und die notwendige Förderung. Es ist eine Erziehung zum selbständigen Denken und damit genau das Gegenteil dessen, was ein konfessioneller Religionsunterricht zu leisten vermag.

ERICH SATTER

 

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