Erich Satter Philosoph

Leseprobe

Vorwort: "Wer Wissenschaft und Kunst besitzt..."

 

Wenn der Pantheist Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), in seiner ästhetischen Rezitation als Dichter, etwas elitär formuliert: „Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, hat auch Religion“, könnte man davon ableiten, dass für ihn Religion in Reflexion von Kunst und Wissenschaft aufgeht. Die Konklusion: „wer jene beide nicht besitzt, der habe Religion“, lässt darauf schließen, dass er damit den positiven Bezug von ethischer Motivation durch Ästhetik in endeetischer Konnotation ausdrücken will. Daneben scheint er jedoch, die im menschlichen Zusammenleben gewachsenen sittlichen Normen, - wie sie in der Religion sublimiert werden, - im Sinne Immanuel Kants (1724-1804) noch aufrecht erhalten zu wollen. Er betrachtet damit Religion, trotz vielfältiger ambivalenter Auswirkungen, für bestimmte Gesellschaftsstrukturen noch für sinnvoll.

      Gleichzeitig evoziert er aber den Gedanken, dass die Kunst in ihrem ethischen und damit auch kulturellen Anspruch über die Mythen hinauswuchs, deren Riten zuvor zu Kultgemeinschaften führten, aus denen in der Achsenzeit die organisierten Religionsgesellschaften hervorgegangen sind. Was die Wissenschaft betrifft, so forderte der Dichterphilosoph Friedrich Nietzsche (1844-1900), sie unter der Optik des Künstlers zu sehen, Kunst aber unter der Optik des Lebens. Ist damit Religion mit der Kunst überwunden oder Kunst zur säkularen Religion für Intellektuelle geworden?

      Arthur Schopenhauer (1788-1860) bezeichnete schon zuvor Religion als das Kinderkleid der Menschheit, dass man beim Erwachsenwerden ablegen muss, um nur die metaphorisch darin begründete Moral zu erhalten. Der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein (1889-1951) sieht dagegen Religion in seiner mystischen Kontemplation als eine Leiter, die man umstoßen kann, wenn man sich am Ziel glaubt. Nicht wenige unter den überwiegend Nichtgläubigen, halten Religion auch in einem so genannten nach-metaphysischen Zeitalter noch für nützlich oder sehen in der Metaphysik, - ähnlich wie Kant, - nur die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung. Unter den aufgeklärten homo sapiens, welche zwar dogmatische Religionen als Aberglaube oder Halbbildung ablehnen, fühlen sich dennoch viele ihren Moralvorstellungen verpflichtet, wenn auch überwiegend emotional bedingt und weniger vernunftgesteuert. Jedoch das Diktum abrahamitischer Konfessionen, ohne die regulative Idee Gottes gebe es keine Moral, kann eine rationale Ethikbegründung widerlegen. Eine theistisch bestimmte Beweisführung ist ambivalent bis kontraproduktiv. In einem gereiften Denken, soll darüber hinaus Ästhetik schwerpunktmäßig als ethische Motivation begriffen werden. Damit könnte Kunst auch in spiritueller Hinsicht Religion nicht nur ergänzen, sondern im Laufe der Kulturentwicklung sogar ablösen. Zumindest scheint dies die Hoffnung Goethes gewesen zu sein, dem hier nachgegangen wird.

      Bei der Darstellung einer Verbindung von Ästhetik als Wissenschaft der sinnlichen Wahrnehmung mit Ethik als Wissenschaft der Moral, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob Ästhetik apophantisch gesehen, - im Sinne Alexander Gottlieb Baumgartens (1714-1762), - auch zur sinnlichen Erkenntnis beitragen kann. Dazu mag der Versuch einer differenzierten Kontrastierung von Sinn und Bedeutung der Begriffe Religion und Kunst hilfreich sein. Weil man aber, unabhängig von diesen Erkenntnissen, davon ausgehen muss, dass eine Ethik, welche so begründet werden kann, dass sich  eine Moral ohne strukturelle Gewalt und Mystifikation in der Lebenswirklichkeit durchsetzen lässt, eine Illusion bleibt, kommt es zu einer Hypothese, welche auf einen fiktiven Gott verzichten und Sanktionen so gering wie möglich halten kann. In der Überzeugung, dass die Ästhetik hilft, eine Moralwissenschaft emotional zu unterstützen, - was Grundlage dieser These ist, - leistet letztendlich die Wissenschaft der sinnlichen Wahrnehmung einen wichtigen Beitrag zur sinnlichen Erkenntnis.

 

      Es wird bewusst keine enzyklopädische Sprache gewählt, aber auch keine wissenschaftsjournalistische, sondern vielmehr eine fragmentarische, die weniger Antwort geben soll, als zum individuellen Weiterdenken anregen will. Skeptizismus auf der Suche nach der Wahrheit, soll ein reaktionäres System ersetzen. Kern der Überlegung ist eine optimistische Erwägung, dass, wer Wissenschaft und Kunst besitzt, alle Voraussetzungen zu einem sinnerfüllten Leben mitbringt. Dabei symbolisiert vielleicht Religion nur ein Zwischenschritt vom Wissen zur Weisheit.

 

Erich Satter

Graz, 25. Mai 2015

 

 

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